Die Renaissance des Alphorns

Als ursprüngliches Kommunikationsmittel der Alphirten drohte das Alphorn zu verstummen. Heute ist das Instrument Symbol für Schweizer Tradition und Kultur. Die urtümlich-beruhigenden Klänge untermalen Jodler- und Schwingfeste, Nationalfeiertage und Hochzeiten. Doch was ist so faszinierend an diesem alten Blasinstrument?

Die Kunst des Alphornspielens

Alphornklänge wirken ruhig und unkompliziert. Doch dieser Schein trügt, wenn’s ums Erlernen des Instruments geht. Obwohl – oder weil – keine Grifflöcher oder Ventile zu bedienen sind, erfordert das Alphornblasen die gezielte Koordination von Atmung, Stimmbändern, Rachen, Zunge und Lippenspannung resp. -schwingung.

«Pfffff … !» Unser «Traditionen-Tester» Peter Bolliger pfeift sprichwörtlich aus dem letzten Loch. Nie zuvor hat er ein Instrument gespielt – und will trotzdem in nur zwei Stunden das Alphornspielen lernen. Ob es Sandra und Stefan von den Ländlerfrönde Freiamt gelingt, dem Greenhorn die Technik beizubringen? Wir verraten nur so viel: Der Ton macht die Musik …

HESCH GWÜSST?

Der siebenköpfige Alphornverein Ländlerfrönde Freiamt aus Hägglingen spielt mit dem traditionellen Instrument auch Stilrichtungen wie Jazz, Polka und Marsch.

Vom Werkzeug der Hirten zum Nationalsymbol

Erstmals dokumentiert wurde das Alphorn in der Schweiz und im Allgäu Mitte des 16. Jahrhunderts. Damals diente es dazu, die Kühe von der Weide in den Stall zum Melken zu rufen. Zudem nutzten die Sennen das Alphorn für die Kommunikation mit benachbarten Alpen und Leuten im Tal. Nachdem sich die Käseherstellung mehr und mehr in die Molkereien der Dörfer verlagerte, verlor das Alphorn an Wichtigkeit. Der Berner Schultheiss Niklaus von Mülinen rettete das Alphorn in den 1820er-Jahren vor dem Aus: Er verteilte die Instrumente für die Unspunnenfeste an begabte Spieler und schenkte dem Alphorn dadurch neuen Aufschwung.

Mehr als folkloristische Tourismus-Werbung

Noch nie gab’s so viele Alphornbläser/-innen wie heute: Nebst zahlreichen privaten Musikern/-innen zählt der Eidgenössische Jodlerverband EJV rund 2’000 Mitglieder. Sie stellen ihr Können regelmässig als Solisten, Duo, Trio, Quartett oder Gruppe unter Beweis. Höhepunkte der streng reglementierten Auftritte sind das Eidgenössische Jodlerfest, die Unterverbands-Jodlerfeste, die Umzüge der Schweizerischen Trachtenvereinigung und das jährlich stattfindende internationale Alphornfestival in Nendaz.

Traditionelle Herstellungskunst

Jedes Alphorn hat einen eigenen Charakter – nicht zuletzt, weil das Instrument in bis zu 60 Stunden Handarbeit aus natürlichen Rohstoffen hergestellt wird. Während sich der Gebrauch und das Spiel des Alphorns in den letzten Jahrzehnten mehrmals veränderten, blieb die Form des Instruments grundsätzlich gleich. Das Material hingegen ist vielseitiger geworden: Bis in die 1930er-Jahre wurden meist krumm wachsende Kiefern oder Arven verarbeitet, heute werden auch andere Hölzer wie Esche oder sogar Carbon verwendet. Die Kunst des Alphornbaus, sei es durch Aushöhlen oder Stück um Stück zusammenfügen – beherrschen nur noch wenige Hersteller.

Kurze Fakten zum langen Horn

  • Das Alphorn gehört wie die Trompete, Posaune, Klarinette und Flöte zur Gruppe der Aerophonen.
  • Aufgrund der Anblastechnik (die Töne entstehen durch Schwingen der Lippen im Mundstück) gehört das Alphorn zu den Blechblasinstrumenten – obwohl es ausschliesslich aus Holz besteht.
  • Früher war jedes Alphorn ein Unikat und Soloinstrument: unterschiedlich lang und mit individueller Form, je nach Baumstamm.
  • Seit den 1960er-Jahren werden Alphörner mit festgelegter Länge und entsprechend definiertem Grundton gebaut. Erst dadurch wurde das mehrstimmige Spiel in Ensembles möglich.
  • Das traditionelle Instrument wiegt rund drei bis vier Kilogramm.
  • Die sogenannte «Naturtonreihe» besteht aus 12 bis 16 Tönen.
  • Die meisten Alphörner werden mit dem Grundton Fis hergestellt und müssen eine Länge von zirka 3.4 Metern aufweisen.
  • Je länger das Alphorn, umso mehr Töne sind spielbar.
  • Je nach Landschaft sind die Töne fünf bis zehn Kilometer weit zu hören.
  • Das ursprünglich verwendete Holz der auf rund 1’500 m.ü.M. gewachsenen Fichte gilt als bestes Material für die Herstellung von Alphörnern.
  • Die meisten Alphörner sind bemalt. Häufigstes Sujet sind Alpenblumen und das Schweizerkreuz.
  • Das längste Alphorn aus einem Stück Holz ist 20.67 Meter lang und im Guinness Buch der Rekorde eingetragen.
  • Das längste Instrument der Welt ist ein 47 Meter langes Alphorn. Das sogenannte «Superhorn» wurde vom Alphornbauer Josef Stocker aus Kriens erbaut. Nur, wenn das Ausstellungsstück auf 14 Meter rückgebaut wird, gibt es Klänge von sich – und wiegt in diesem Zustand noch immer 250 kg

HESCH GWÜSST?

Unter dem Motto «Alphorn 555» spielten 1006 Alphornbläserinnen und -bläser am 31. August 2024 gemeinsam auf der Klewenalp – Gänsehautfeeling und spektakulärer Weltrekord!